Köln (dpa) – Die Fachkräftelücke in Deutschland hat sich im Jahr 2023 leicht verringert. 570 000 offene Stellen konnten nicht mit passend qualifizierten Kandidaten besetzt werden. Das sind 62 000 und damit knapp zehn Prozent weniger als im Vorjahr. Das berichtete das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) am Freitag. 2022 hatte der Fachkräftemangel den höchsten Stand seit Beginn des Beobachtungszeitraums im Jahr 2010 erreicht.
Dass die Zahlen gesunken sind, ist der Untersuchung zufolge kein Zeichen für Erholung. Aufgrund der eingetrübten Konjunktur habe es mehr arbeitslose qualifizierte Fachkräfte und weniger offene Stellen gegeben. «Trotz ihres Rückgangs ist die Fachkräftelücke weiterhin auf einem sehr hohen Niveau», sagte Studienautor Jurek Tiedemann. Wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage sei 2024 erneut mit einer Verringerung zu rechnen, bei einem Aufschwung dagegen mit einem rapiden Anstieg.
Besonders zugenommen hat der Mangel an Fachkräften zuletzt in Verkehrsberufen. Den stärksten prozentualen Anstieg gab es bei Bus- und Straßenbahnfahrern. Hier fehlten 3594 Beschäftigte und damit fast 90 Prozent mehr als im Vorjahr. Bei Lokführern gab es mehr als 4000 unbesetzte Stellen. Die größten Lücken bestehen der Untersuchung zufolge jedoch nach wie vor im Bereich Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung. Hier konnten im Schnitt sechs von zehn offenen Stellen nicht besetzt werden.
In der Gesundheits- und Krankenpflege fehlten im vergangenen Jahr 17 656 Fachkräfte, in der Kinderbetreuung und -erziehung waren 30 311 Stellen unbesetzt – so viele wie in keinem anderen Beruf. «Um mehr Menschen für eine Tätigkeit in diesem Berufsbereich zu gewinnen, ist es wichtig, die Berufe attraktiver zu gestalten», so Tiedemann. Erhebliche Engpässe gebe es auch im Handwerk sowie in Berufen, die für das Erreichen der politischen Klimaziele, den Wohnungsbau und den digitalen Wandel relevant sind.
Frauenberufe stärker betroffen
Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des IW bekommen Frauen den Fachkräftemangel in der deutschen Wirtschaft eher zu spüren. Typische Frauenberufe in der Kinderbetreuung, Erziehung und Sozialpädagogik sind von den Folgen demnach stärker betroffen. Den Forschern zufolge funktioniert es bislang nur teilweise, diese Berufe auch für Männer attraktiver zu machen.
Dem Statistischen Bundesamt zufolge waren Ende 2023 in Deutschland mit rund 46,2 Millionen so viele Menschen erwerbstätig wie noch nie. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat angesichts des Fachkräftemangels kürzlich dennoch zu verstärkter Beschäftigung unter anderem von Frauen, Älteren und Ausländern aufgerufen. Deutschland brauche mehr Fach- und Arbeitskräfte, um das Potenzial «als drittstärkste Volkswirtschaft voll auszuschöpfen».
In vielen Berufsbereichen wird der Bedarf in Zukunft noch deutlich steigen. So schätzt das Statistische Bundesamt, dass bis 2049 mindestens 280 000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden. Wegen des demografischen Wandels ist der Arbeitsmarkt in Deutschland auch auf die Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften aus dem Ausland angewiesen. In Reinigungsberufen haben heute sechs von zehn Erwerbstätigen eine Einwanderungsgeschichte, in der Gastronomie ist es fast jeder Zweite.
Umfrage: Wohnungsnot verschärft Mangel
Um die Lücke zu schließen, empfehlen die Studienautoren des Kofa, An- und Ungelernte zu qualifizieren und ausländische Fachkräfte zu rekrutieren. Außerdem seien zusätzliche Anreize nötig, um ältere Arbeitende länger in Beschäftigung zu halten.
Die Bundesregierung lockerte zuletzt die Regelungen, um mehr Nicht-EU-Bürger auf den Arbeitsmarkt zu locken. Am 1. März trat das Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung in Kraft. Menschen aus Drittstaaten können künftig in Deutschland arbeiten, wenn sie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufs- oder Hochschulabschluss haben. Sie müssen keine in Deutschland anerkannte Ausbildung vorweisen.
Eine Hürde im Ringen um Fachkräfte sind auch die hohen Mieten in vielen deutschen Großstädten. Das zeigt eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC. Viele Menschen sehen das teure Wohnen demnach als zentrales Manko für das Leben in der Großstadt. «Für Arbeitgeber wird es in Ballungsräumen damit immer schwieriger, Fachkräfte zu finden und zu halten», schreiben die Autoren.
Von Christian Rothenberg, dpa