Berlin (dpa) – Nach den Verlusten von SPD und FDP bei der Teilwiederholung der Bundestagswahl von 2021 in Berlin wächst der Druck auf die «Ampel»-Koalition von Kanzler Olaf Scholz.
Berlins SPD-Landeschefin Franziska Giffey forderte am Montag mehr Profil der Sozialdemokraten in der Regierung. Zugleich mahnte auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki nach dem «bitteren Ergebnis» seiner Partei zur Kurskorrektur. CDU-Landeschef Kai Wegner wertete das Ergebnis als Stoppsignal für die Regierungskoalition (SPD, FDP, Grüne).
Die Wahl am 26. September 2021, die zeitgleich mit dem Berlin-Marathon stattfand, war zum Teil chaotisch verlaufen. Vielerorts fehlten Stimmzettel, oder es lagen die falschen aus. Es gab lange Warteschlangen. In vielen Wahllokalen wurde noch lange nach 18 Uhr, dem eigentlichen Wahlende, gewählt – als schon die ersten Prognosen liefen.
Die Wahl wurde daher am Sonntag in etwa einem Fünftel der Berliner Wahlbezirke wiederholt. Etwa 550 000 Hauptstädter durften erneut abstimmen – nur rund ein Prozent der Stimmberechtigten in Deutschland.
Verluste für SPD und FDP dort, wo tatsächlich abgestimmt wurde
Das Gesamtergebnis von 2021 änderte sich damit nur minimal: Die FDP (11,4 Prozent) und die Grünen (14,7 Prozent) verloren jeweils 0,1 Prozentpunkte. Die oppositionellen Christdemokraten (19,0 Prozent) und die rechtspopulistische AfD (10,4 Prozent) erhielten jeweils 0,1 Prozentpunkte mehr. Für SPD (25,7 Prozent) und die Linke (4,9 Prozent) änderte sich das Bundesergebnis von 2021 nicht.
Auch die Verschiebungen in Berlin blieben überschaubar: Nach dem neuen Gesamtergebnis – also Wahlbezirke mit wiederholter Stimmabgabe zusammen mit den Ergebnissen, die nicht wiederholt werden mussten – blieb die SPD stärkste Partei mit 22,2 Prozent (-1,2 Prozentpunkte), knapp vor den Grünen mit 22,0 Prozent (-0,3). Die CDU verbesserte sich auf 17,2 Prozent (+1,3). Die AfD kletterte auf 9,4 Prozent (+1,0), die FDP sank auf 8,1 Prozent (-0,9). Die Linke hielt mit 11,5 Prozent praktisch ihr Ergebnis der Wahl 2021 (+0,1).
Deutlicher war jedoch der Trend in den Bezirken, wo tatsächlich abgestimmt wurde: Dort verloren SPD und FDP erheblich, CDU und AfD gewannen deutlich hinzu. Und obwohl die Zahl der Abstimmenden insgesamt klein war, sehen die Parteien das als Fingerzeig.
«Unzufriedenheiten in der Bevölkerung stärker aufgreifen»
FDP-Vize Kubicki sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Es ist ein bitteres Ergebnis, aber im Angesicht der aktuellen Umfragewerte kommt es nicht überraschend. Für die FDP muss klar sein, dass nur eine mutigere und fortschrittlichere Wirtschafts-, Energie- und Migrationspolitik zum Erfolg führen wird.» Er mahnte: «Wir tun gut daran, diesen Kurswechsel in der Koalition spätestens mit den anstehenden Haushaltsberatungen einzuleiten.»
SPD-Landeschefin Giffey sagte der dpa, die Verluste der «Ampel»-Parteien müsse man sehr ernst nehmen. Bisher habe die SPD in der «Ampel» stark moderiert, jetzt müsse sie wieder stärker für ihre Position stehen. «Das bedeutet, dass die Unzufriedenheiten, die in der Bevölkerung da sind, wieder stärker aufgegriffen werden müssen», sagte Giffey. Das starke Abschneiden der AfD und die niedrige Wahlbeteiligung seien Warnzeichen.
CDU-Landeschef Wegner – der als Regierender Bürgermeister im Land Berlin seit 2022 eine Koalition mit der SPD führt – wertete die Teilwahl noch eindeutiger: «Die Menschen wollen, dass sich etwas ändert», sagte Wegner der dpa. «Sie erwarten, dass der Kanzler endlich sagt, wie er dieses Land aus der Krise führen will.»
Vorsichtige Interpretation der AfD-Ergebnisse
Auch der Berliner Politikwissenschaftler Thorsten Faas erwartet Korrekturen in der Arbeit der «Ampel». Aus dem Wahlergebnis ergebe sich die strukturelle Frage: «Wie kann man Vertrauen wiederherstellen? Dafür muss der schmale Grat gefunden werden zwischen Profilierung der eigenen Partei, aber eben auch einer geschlossenen Koalition – gerade auch im Auftreten.»
Bei der Interpretation der Stimmengewinne für die AfD riet Faas zur Vorsicht. «Im Zeitraum zwischen der Erstwahl 2021 und der Wiederholungswahl 2024 sind unglaublich viele Dinge passiert», sagte der Parteienforscher der Freien Universität. Dazu zähle der Ukraine-Krieg, der Krieg im Nahen Osten, aber dazu gehörten auch die Demonstrationen gegen rechts nach der Correctiv-Recherche zu einem Treffen radikaler Rechter mit AfD-Politikern in Potsdam. «Man kann da nicht einzelne Dinge rausgreifen und auf deren Effekt schließen», sagte Faas.
Die politische Geschäftsführerin der Grünen, Emily Brüning, wertete das Ergebnis ihrer Partei als «Rückenwind für unsere Arbeit und ist ein guter Start in dieses Superwahljahr». Ähnlich sieht das auch die Linke: Man gehe gestärkt in die Europawahl und in die Bundestagswahlen 2025, sagte der Berliner Landeschef Maximilian Schirmer.
Weniger Abgeordnete aus Berlin
Obwohl sich die Machtverhältnisse im Deutschen Bundestag insgesamt nicht verändern, hat die Wahl doch Auswirkungen. So hat Berlin wegen geringer Wahlbeteiligung an der Wiederholung künftig nur noch 25 statt bisher 29 Abgeordnete im Bundestag. Jeweils ein Mandat der SPD, der Grünen und der Linken gehen an andere Landesverbände dieser Parteien. Ein Mandat der FDP entfällt ersatzlos. Damit gehören dem Bundestag künftig noch 735 Abgeordnete an, darunter nur noch 91 der FDP.
Die Beteiligung für die gesamte Berliner Bundestagswahl – also in den Wahlbezirken mit weiter gültigen Ergebnissen und in denen mit Wahlwiederholung – wurde mit nun 69,5 Prozent angegeben (2021: 75,2 Prozent). Das war der niedrigste Wert für eine Bundestagswahl im Land Berlin seit 1990. Dieses Jahr stehen noch mehrere wichtige Wahlen an: Am 9. Juni die Europawahl, im September die Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg.