Berlin (dpa) – Ein Einsatz von Bodentruppen durch ein Nato-Land in der Ukraine würde nach Einschätzung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages nicht automatisch alle anderen Nato-Länder zu Konfliktparteien machen.
Zwar würde der betreffende Staat selbst zur Konfliktpartei, wie aus einem noch unveröffentlichten sogenannten Sachstand der Expertenabteilung des Parlaments hervorgeht. «Handelt der Nato-Mitgliedstaat dabei unilateral – also nicht im Rahmen einer vorher beschlossenen Nato-Operation und außerhalb militärischer Nato-Kommandostrukturen – werden dadurch weder die Nato als Ganzes noch die anderen Nato-Partnerstaaten zu Konfliktparteien», heißt es in dem Papier weiter, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Die Wissenschaftlichen Dienste sind eine Unterabteilung des Bundestages aus acht Fachbereichen mit rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wie aus einem Info-Blatt des Bundestages hervorgeht. Die Expertinnen und Experten recherchieren zu Themen auf Wunsch einzelner Abgeordneter und auch für Gremien des Bundestages. Sie erstellen Kurzinformationen, Dokumentationen, Sachstände, ausführliche Ausarbeitungen und auch Gutachten. In dem Info-Blatt werden sie auch als «Denkfabrik des Parlaments» bezeichnet. Sie arbeiten demnach «parteipolitisch neutral und sachlich objektiv».
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte Ende Februar einen Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine für die Zukunft nicht ausgeschlossen. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte daraufhin einer Entsendung von westlichen Soldaten in die Ukraine dagegen eine klare Absage erteilt.
Die Abgeordnete der rechtspopulistischen AfD Beatrix von Storch hatte daraufhin nach Angaben ihres Büros bei den Wissenschaftlichen Diensten gefragt, welche Auswirkungen eine Entsendung von Bodentruppen eines Nato-Staates mit Blick auf den sogenannten Bündnisfall hätte, in dem die Nato-Mitglieder dazu verpflichtet sind, füreinander einzustehen.
Die Bundestag-Experten schreiben dazu: «Engagieren sich Truppenteile eines Nato-Mitgliedstaates in Ausübung kollektiver Selbstverteidigung (Art. 51 VN-Charta) zugunsten der Ukraine in einem bestehenden Konflikt (zwischen Russland und der Ukraine) und werden dabei von der anderen Konfliktpartei (Russland) im Zuge des Gefechts im Konfliktgebiet attackiert, so stellt dies keinen Fall von Art. 5 Nato-Vertrag dar.» Verwiesen wird darauf, dass der Bündnisfall laut Nato-Vertrag daran geknüpft ist, dass Nato-Länder und Truppen auf oder über ihrem Territorium angegriffen werden.
«Ein militärisches Engagement französischer Bodentruppen zugunsten der Ukraine würde auf der Grundlage des kollektiven Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 VN-Charta erfolgen und wäre damit völkerrechtlich zulässig», heißt es in dem Papier und weiter: «Eine militärische Reaktion Russlands gegen Ziele in Frankreich würde dagegen einen (völkerrechtswidrigen) «bewaffneten Angriff» i.S.v. Art. 5 NATO-Vertrag darstellen, der die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Proklamation des Nato-Bündnisfalles begründete.»